Impuls zum 18. Februar 2024
Von Klaus Hagedorn (Oldenburg), Geistlicher Beirat pax christi Deutsche Sektion e.V.
Was uns heilig ist? – oder: Wie will ich leben?
Vorneweg
„Kriege gab es schon immer! Kriegstüchtigkeit ist angesagt. Der Mensch ist eben so, wie er ist: den anderen ein Wolf! Deshalb: Wer nicht für Abschreckung durch Waffen ist, ist kein Realist!“ So oft habe ich diese oder ähnliche Sätze gehört oder als Ansage und Grundüberzeugung hinter Beiträgen gelesen. Mainstream!?
Sich veränderndes Klima, grausame Kriege, institutionalisierte Ungerechtigkeit: Die Krisen dieser Tage verstärken und überlagern sich gegenseitig. Sie fordern uns heftig heraus, stellen vorgeblich sicher Geglaubtes in Frage. Das Gefühl von Ohnmacht und der Deprimierungs-Virus knabbern an. Auch wenn diese Krisen miteinander verbunden sind und sich gegenseitig verstärken: Die grundlegende Frage unseres Überlebens ist doch zentral berührt. Bei Licht besehen und nicht schwarzgemalt: Wir leben in einer zerrissenen Gesellschaft und Welt, in manchmal sogar brüchig gewordenen Gemeinschaften: Halten sie noch – oder ist der Zusammenhalt schon aufgegeben. Können wir mit ihnen noch „ins Leben gehen“ und „Farbe bekennen“?
Ich sehe mich derzeit mit folgenden Fragen konfrontiert: Wo sind Auswege in der Gefahr? Was ist uns im Kern noch heilig? Was tasten wir nicht an? Was ist uns das „Leben“ wert? – Letztlich: Wie will ich leben?
Ich möchte eine Anregung geben: Ich möchte anregen, für eine gewisse Zeit in der Fastenzeit bisher Gewohntes im Alltag bewusst zu lassen, um zu unterbrechen und frei zu werden, mich meinen mich bedrängenden existentiellen Fragen zu stellen. Ich möchte angesichts vieler Ohnmachtserfahrung in Sachen Krieg und Frieden und angesichts allen Ringens miteinander die Tradition des leiblichen Fastens erinnern – und seine Einbindung in die uralte Einheit mit solidarischem Handeln und Gebet. Ich möchte anregen, bewusst die Stille zu suchen. Uralte Erfahrung für Krisensituationen ist auch: Erst in der Stille beginnt man, neu zu hören. Erst wenn die Sprache verstummt, beginnt man oft, neu zu sehen und zu verstehen. Und gut tut es, solches zusammen mit anderen in Gemeinschaft anzugehen und einen zeitlich abgestimmten Austausch mit Gleichsuchenden in solcher Fasten-Zeit zu pflegen.
Als Mitglieder oder Befreundete unserer Friedensbewegung pax christi wären ein solches „Fasten für das Leben“ und Stille/Gebet und solidarisches Handelns ein Zeichen, um gegen die Sinnlosigkeit der aktuellen Kriege zu protestieren, um ein Zeichen zu setzen für das Wort bei der Gründung des Weltkirchenrates 1948 in Amsterdam: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein!“
Beim Propheten Jesaja wäre ebenfalls anzuknüpfen (58,6.7.10b): „Ist nicht das ein Fasten, wie ich es wünsche: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, Unterdrückte freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen? Bedeutet es nicht, dem Hungrigen dein Brot zu brechen, obdachlose Arme ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und dich deiner Verwandtschaft nicht zu entziehen? … Dann geht im Dunkel dein Licht auf und deine Finsternis wird hell wie der Mittag.“
Was leibliches Fasten ist? – Und was es nicht ist?
Fasten ist eine „Unterbrechung“ meines Alltags.
Fasten ist ein Weg mit möglicherweise neuen Wegzeichen für mein Leben.
Fasten ist der freiwillige und bewusste Verzicht – zeitlich begrenzt – auf feste Speisen und bestimmte Konsumgüter.
Fasten ist eine naturgegebene Form menschlichen Lebens.
Fasten ist Leben aus körpereigenen Nahrungsdepots.
Fasten betrifft mich ganz: meinen Körper, meine Seele; meinen Geist.
Fasten ist ein Bekenntnis der eigenen Ohnmacht.
Fasten ist eine Form des Eingestehens von begangenem Unrecht.
Fasten befreit mich von Bindungen, die mich fesseln.
Fasten ist ein Mittel zur Kraftgewinnung für gewaltfreie Konfliktlösungen.
Fasten ist ein Zeichen der Solidarität mit jenen, die täglich hungern und verhungern.
Fasten ist ein sog. Weg in die „Wüste“ zur Orientierungssuche.
Fasten geht Wege, die auch Jesus gesucht hat.
Fasten ist ein Zeichen der Hoffnung für das Kommen des Reiches Gottes.
Fasten ist nicht Hungern.
Fasten hat nichts zu tun mit Entbehrung und Mangel.
Fasten meint nicht: Abstinenz von Fleisch an einem Wochentag oder generell.
Fasten ist nicht Schwärmerei.
Fasten ist keine Antwort, bzw. Lösung auf die Probleme und Krisen, mit denen ich konfrontiert bin.
Hinweis auf vier Grundregeln des Fastens
Es braucht Aufbau- bzw. Vorbereitungstage für ein leibliches Fasten. Entsprechende Anregungen sind in Fastenbüchern zu finden und im Internet abzurufen. Deshalb an dieser Stelle nur der Hinweis auf vier Grundregeln:
Regel 1: Nichts essen – nur trinken: Tee, Fruchtsäfte, Gemüsesäfte und Wasser, soviel der Durst verlangt.
Regel 2: Weglassen von all dem, was nicht notwendig und deshalb entbehrlich ist.
Regel 3: Sich von allem Rummel lösen, die Stille suchen und sich konzentrieren auf das, was zum Fasten veranlasst hat. Statt Reizflutung von außen – Begegnung mit sich selbst: Wie will ich leben?
Regel 4: Locker bleiben, nicht verkrampfen. Dieses Zeichen der Solidarität schlicht durchführen, ohne sich und andere unter Druck zu setzen.
Beten heißt: Meine Sinne auf Gottes Tora richten
Der du uns in dieses Leben hast gerufen,
lass uns gehören zueinander.
Dass wir nach Wegen suchen,
einander zu dienen.
Schütze uns gegen uns selber.
Keine Toten mehr, kein Terror,
keine Lager, keine besetzten Gebiete,
keine Menschenvernichtung, keine Shoah,
kein Waffenhandel, keine Großtaten,
keine stumpfsinnige Machtdemonstration -
Milliarden zum Fenster hinaus
zu Lasten alter und neuer Armer.
Der du kein Todesgott bist,
erleuchte unseren Verstand,
dass wir Gedanken finden,
wie das Böse abzuwenden ist.
Gib uns Kraft zu Hingabe und Treue,
dass wir Liebe tun, anleben gegen den Tod,
Frieden stiften, wo möglich.
Der du uns nicht zum Bösen gemacht hast,
doch einander leben zu lassen.
Möge uns segnen der,
der die Erde schuf für die Menschen,
die Menschen füreinander.
Möge sein Antlitz über uns leuchten,
dass wir in Frieden sind.
(Huub Oosterhuis, Um Recht und Frieden. Gebete im Jahreskreis, Düsseldorf 1989, 38f)
Die Versuchung Jesu
Das Evangelium vom 1. Fastensonntag: Markus 1, 12-15 – hier: Matthäus 4,1-11
In jener Zeit wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt; dort sollte er vom Teufel versucht werden. Als er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. Da trat der Versucher an ihn heran und sagte: Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl, dass aus diesen Steinen Brot wird. Er aber antwortete: In der Schrift heißt es: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt. Darauf nahm ihn der Teufel mit sich in die Heilige Stadt, stellte ihn oben auf den Tempel und sagte zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so stürz dich hinab; denn es heißt in der Schrift: Seinen Engeln befiehlt er um deinetwillen, und: Sie werden dich auf ihren Händen tragen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt. Jesus antwortete ihm: In der Schrift heißt es auch: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen. Wieder nahm ihn der Teufel mit sich und führte ihn auf einen sehr hohen Berg; er zeigte ihm alle Reiche der Welt mit ihrer Pracht und sagte zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest. Da sagte Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn in der Schrift steht: Den Herrn, deinen Gott, sollst du anbeten und ihm allein dienen. Darauf ließ der Teufel von ihm ab und siehe, es kamen Engel und dienten ihm.
Versuchungen – Wie will ich leben?
Wie will ich leben? Eine Antwort finde ich wohl nicht ohne ein Ausprobieren, Übernehmen, ohne ein Fragen, Suchen und Versuchen. Und dabei gibt es immer wieder neue Versuchungen.
Der Matthäus-Text 4,1-11 berichtet von Jesu Suche. Jesus geht in die Wüste, fastet, sucht nach klärenden Einsichten und Erfahrungen. Auch er erfährt Versuchungen – durch den Diabolos, den Durcheinanderwirbler.
Er wird angesprochen auf seinen eigenen Hunger und den der Menschheit: „Befiehl, dass aus diesen Steinen Brot wird.“ Die Welt braucht Brot. Es gäbe keine Hungersnöte mehr, kein Sterben durch Unterernährung. – Jesu Hunger in der Wüste ist arg. Er spürt die Versuchung, nur noch zu denken, der Mensch sei eigentlich gesättigt, wenn er essen kann. Ja, wir brauchen ausreichend Essen und Trinken und haben die Verantwortung, das weltweit gut zu organisieren für alle Menschen. Teuflisch aber ist, zu glauben, dass Brot allein uns Menschen satt machen kann. Gemessen an unserer Sehnsucht ist das, was die Erde bietet, wie die Steine in der Wüste, die uns nicht sättigen können. Jesus wehrt deshalb ab: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.“ Und dieses will kundtun, dass Gott alle – ohne Ausnahme – liebt: gratis, umsonst, bedingungslos. Und eine solche Liebe stärkt, ist hoffnungs- und friedensstiftend und macht uns nicht hungriger, sondern kann uns erfüllen.
Jesus entzieht sich auch der zweiten Versuchung, vom Tempeldach herunterzuspringen – aufgefangen durch die Engel und so unversehrt zu bleiben. Er hätte reichlich Geltung und Ansehen danach. Und das wäre von Nutzen, um die Dinge zum Besseren zu verändern. Aber: Gott würde so zu einem Erfüllungsgehilfen der eigenen Wünsche und Sehnsüchte. „Du sollst deinen Gott nicht auf die Probe stellen.“ Jesus ist überzeugt: Gott befreit uns nicht von Problemen, sondern geht mit uns, wenn wir Probleme zu verwandeln beginnen.
Jesus sieht sich sodann konfrontiert mit der Versuchung zu Macht und Besitz - im Blick „die Reiche der Welt mit ihrer Pracht“. Vor wem müsste er da auf die Knie gehen? Es wären Mächte, die oft den Anschein des Guten erwecken, aber Samen des Bösen säen. Sie heißen heute u.a.: gnadenlose Selbstbehauptung, Nationalismus, Imperialismus, breitgestemmter Egoismus, Korruption, Ausbeutung, Geldgier, Berufungsdünkel, eingebildete Auserwählung und Überlegenheit über andere, Machtmissbrauch. Jesus erkennt: Er will stehen für die Macht der Liebe, die die Erfahrung von Ohnmacht einschließt – auch um den Preis seines Lebens.
Eine Bitte um ein Mehr an Leben und Frieden
Gott allen Lebens:
Seit Jesus gekommen ist, um für uns Gottes Barmherzigkeit zu sein,
ermessen wir, wie hart und gnadenlos wir miteinander leben.
Wir bitten, dass wir nicht länger Böses mit Bösem vergelten,
sondern Frieden stiften und die Wahrheit tun
heute und alle Tage, die wir noch leben dürfen.
Gott, du bist nicht glücklich mit uns, wenn wir einander unglücklich machen;
unerträglich ist es dir, wenn wir einander umbringen und töten.
Wir bitten dich, zerbrich den Kreislauf des Bösen, in dem wir gefangen sind,
und lass die Sünde in uns aussterben, wie in Jesus, deinem Sohn,
die Sünde der Welt ausgestorben, der Tod getötet worden ist -
er lebt für uns heute und alle Tage.
Du erträgst es nicht, dass einer deiner Menschen verlorengehen sollte.
Du suchst uns auf, wenn wir uns entfernt haben von dir.
Viel mehr, als wir dich suchen, bist du auf der Suche nach uns.
Wir halten uns fest an deiner erfinderischen Liebe
und ihr vertrauen wir uns an.
Gott, wir fallen und können nicht weiter, wir sind gelähmt und außerstande aufzustehen.
Mit tastendem Glauben kommen wir auf dich zu.
Heile uns und richte uns auf um deiner Barmherzigkeit willen,
um Jesu willen, der unser Bruder ist. Ihn hast du ja aufgerichtet aus dem Tod,
er lebt bei dir für diese Welt und für alle Zeiten.
Nicht um zu richten, bist du in Jesus gekommen, Gott,
sondern zu suchen, was verloren ist,
und zu befreien, was in Schuld und Angst gefangenliegt,
um uns zu retten, wenn unser Herz uns anklagt.
Nimm uns, so wie wir hier zugegen sind,
mit aller dunklen Vergangenheit der Welt.
Du bist doch größer als unser Herz, größer als alle Schuld,
du bist der Schöpfer einer neuen Zukunft, ein Gott der Liebe bis in Ewigkeit.
(Nach einem Gebet von Huub Oosterhuis)
Segensgebet
Gesegnet bist du,
so wie du bist.
Mit deiner Sehnsucht,
mit deinem Dank und deiner Bitte.
Mit all’ dem, was sich so schwer sagen lässt.
Mit deinem randvoll gefüllten Schweigen.
Gesegnet bist du
so wie du bist.
Unverwechselbar,
farbig,
mit Ecken und Kanten.
Mit deinen Siegen und deinen Niederlagen.
Mit all denen an deiner Seite,
die dir lieb sind,
und mit allen,
die dir zugemutet werden,
wie du auch ihnen.
Gesegnet bist du
so wie du bist.
Gott kennt dich.
Er hält dich aus.
Und gibt dir Atem."
(Stephan Wahl)